Unser stellvertretender Vorsitzende Kurt Mittag gibt hier als Kenner der Politik in Frankreich einen kurzen Überblick zum französischen Wahlrecht und den Auswirkungen der Europawahl auf die französische Politik:
Nach der Ankündigung des französische Präsidenten Macron, das Parlament aufzulösen und Neuwahlen am 30.06. (1. Runde) und am 07.07. (2. Runde) stattfinden zu lassen, möchte ich kurz das französische Wahlrecht erläutern, dass sich deutlich vom deutschen Wahlrecht deutlich unterscheidet.
In Frankreich werden Parlament und Präsident in getrennten Wahlgängen gewählt. Es ist also durchaus möglich, dass jemand als Präsident gewählt wird, der keine Mehrheit im Parlament hat und sich dann für seine Politik (wechselnde) Partner suchen muss, die seine politischen Vorhaben unterstützen.
Wenn der Präsident das Parlament auflöst, bleibt er trotzdem Präsident und muss in der Zukunft wahrscheinlich mit einem anders zusammengesetzten Parlament arbeiten.
Bei dem Wahlrecht in Frankreich handelt es sich grundsätzlich um ein Mehrheitswahlrecht. Bei den Wahlen findet zunächst eine 1.Runde statt. In dieser ersten Runde kann nur derjenige ein Mandat erlangen, dem es gelingt die absolute Mehrheit (also mehr als 50 %) zu erreichen. Dies ist relativ selten der Fall.
Wer in der 1. Runde kein Mandat erreicht, kann sich in der 2.Runde noch einmal um ein Mandat bewerben, wenn er in der 1. Runde mindestens 12,5 % der Stimmen erreicht hat. In der 2. Runde gibt es also mindestens 2, in der Regel aber mehrere Kandidaten. Gewählt ist dann derjenige, der die meisten Stimmen – also die relative Mehrheit – in der 2.Runde erlangt.
Bei der Europawahl gilt in Frankreich ausnahmsweise das Verhältniswahlrecht, so dass es nur auf die Stimmenanteile ankommt, die eine Partei erlangt hat.
Die französischen Medien haben aber landesweit dargestellt, was das französische Ergebnis bei der Europawahl für das Land bedeutet hätte, wenn es sich um eine Wahl zur Nationalversammlung (entspricht etwa dem Bundestag) nach dem Mehrheitswahlrecht gehandelt hätte:
In rund 32.500 von rund 35.000 Städten und Gemeinden erlangten die Kandidaten der rechts-radikalen Partei von Marine Le Pen die meisten Stimmen. In einigen Städten und Gemeinden wurde sogar die absolute Mehrheit erlangt, so dass diese Kandidaten schon in der 1.Runde gewählt worden wären. In fast allen anderen Städten und Gemeinden stehen die Kandidaten der rechtsradikalen Partei in der Stichwahl. Ausnahmen davon gibt es nur in allen Wahlbezirken in Paris und in vielen Wahlbezirken rund um Paris.
Die Parteien, die Gewerkschaften und sogar die Kirchen rufen daher jetzt in Frankreich dazu auf, sich auf ähnliche Wahlszenarien für die bevorstehenden Neuwahlen zur Nationalversammlung einzurichten und Bündnisse und Absprachen zwischen den demokratischen Parteien zu treffen, um einen Durchmarsch der Rechtsradikalen zu verhindern. Trotzdem ist allen klar, dass es in der neuen Nationalversammlung eine starke rechtsradikale Fraktion geben wird.
Kurt Mittag