von Wolfram Kuschke, Landesvorsitzender der Europa-Union, Landesverband NRW und Dr. Pantaleon Giakoumis, Geschäftsführer des Landesverbandes
„In diesem Jahr (2012) haben viele von uns in mehreren Europaschulen Vorträge über die EU gehalten. Meistens versuchen wir am Anfang, die Schüler mit der folgenden Frage zu konfrontieren: Was ist denn für Euch das Wichtigste im Leben? Die Antworten auf diese Frage sind oft: Gute Noten in der Schule, glückliches Familienleben, schöne Reisen, gute Freunde, Gesundheit etc.. Die Antwort, in Frieden und Sicherheit zu leben, hören wir selten, dabei ist dies das Wichtigste, was uns Europäer eigentlich interessieren sollte.
Dass keine Schülerin oder Schüler daran denkt, eine solche Antwort zu geben, liegt in der Natur der Sache. Wir leben alle seit über 65 Jahre in Frieden und Sicherheit. Das ist ein Faktum, das nicht einmal die Euroskeptiker von der „Insel“ bestreiten können. Wir leben in einem gemeinsamen Raum der Sicherheit, des Rechts, der Solidarität und der Demokratie und trotz vorhandener Probleme auch des Wohlstandes. Für die Schüler scheint dies alles eine Art Selbstverständlichkeit zu sein, ist es eine? Natürlich nicht. Wer die Geschichte unseres Kontinents kennt, der weiß, dass vor 1945 der Krieg immer ein bestimmender Faktor der Politik und des nationalen Interesses war. Krieg war der Zustand des Nicht-Friedens. Wir brauchen nicht auf die lange Liste der Kriege, die in den letzten zwei Jahrtausenden auf europäischem Boden stattfanden, zu blicken. Nationale Interessen, Habgier, Machtausübung und Unterwerfung anderer Länder, Okkupationen von Gebieten anderer Staaten, Vertreibung der Minderheitsethnien, Tod und Vernichtung, ja opportune Kriegspiraterie waren die Folgen.
Der Zweite Weltkrieg mit seinen katastrophalen Auswirkungen hat viele Menschen in Europa davon überzeugt, dass es Zeit war von der ewigen Konfrontation der Staaten in Europa in eine Phase der Kooperation einzutreten. Eine wichtige Rolle für dieses Umdenken der europäischen Politiker war auch die Entwicklung neuer Waffentechnologien. Die Atombombe warnte im Sinne einer vermeintlichen Strategie der Abschreckung: Wer als Erster schießt, stirbt als Zweiter. So war bei den verantwortlichen Politikern in der Zeit nach 1945 wie Adenauer, de Gaulle, Robert Schumann und Jean Monnet das festgelegte Ziel im Kopf verankert, ein System zu entwickeln, das den Bürgern Europas zukünftig den Frieden sichere und den Krieg verbanne. Das Motto lautete: „Nie wieder Krieg“ und die Absicherung hierfür war eine neuartige supranationale Staatengemeinschaft, die sich als primäres Ziel den Frieden ihrer Mitglieder zu sichern, gesetzt hatte. Es war die Phase der Gründung der Montanunion im Jahre 1949. Es war kein Zufall, dass man sich zunächst auf eine „Gemeinschaft für Kohle und Stahl“ einigte, denn diese Produkte waren in der Vergangenheit die Voraussetzung zur Herstellung von Waffen. Mittlerweile hat sich die Gemeinschaft in den letzten 65 Jahren weiterentwickelt aber dieses Ziel der Sicherung des Friedens hat die EU seit 65 Jahren kontinuierlich nicht aus den Augen verloren. Der Bundesaußenminister Guido Westerwelle hat es am Tag der Bekanntmachung, dass die EU den Friedensnobelpreis erhalten werde, passend formuliert: Die EU sei „das erfolgreichste Friedensprojekt der Geschichte“ (SPIEGEL Online 12.10.12) . Recht hat er. Anscheinend ist heute für alle EU Bürger Frieden und Sicherheit eine Selbstverständlichkeit geworden. Hinter diesem Begriff der „Selbstverständlichkeit“ aber verbergen sich jahrelange politische und diplomatische aber auch außerparlamentarische Bemühungen und Anstrengungen, das gemeinsame Haus Europa durch Verträge zu festigen, zu bündeln und weiterzuentwickeln. Die Entwicklung der europäischen Integration ist kein Selbstzweck sondern eine Notwendigkeit. Es ist kein Automatismus sondern ein dauerhaftes Streben nach Vollendung. Einverstanden, es ist ein mühsamer Prozess. Um einen gemeinsamen Nenner unter allen 27 Mitgliedsländern zu finden, muss lange verhandelt werden. Neu ausgearbeitete Verträge müssen von allen Ländern ratifiziert werden bis diese in Kraft treten können. Jeder kleinste gemeinsame Schritt nach vorn ist aber ein großer Schritt für die friedliche Einigung der Länder Europas.
In den Jahren nach 1949 bis heute hat sich gezeigt, dass der Beginn der EGKS viel mehr bewirkt hat als nur den Frieden unter den Mitgliedsländern zu sichern und zu garantieren. Die heutige EU ist ein Raum des Friedens, der Sicherheit, der engeren Kooperation der Mitgliedsländer, der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie, der Solidarität und des Föderalismus. Es sind richtige und wichtige europäische Werte entstanden auf die wir Europäer stolz sein sollten. Die EU muss es aber auch zukünftig schaffen, ein Raum der SOZIALEN Marktwirtschaft zu werden, in der nicht die Finanzinteressen die Politik dominieren. Die Politik muss sich für das Wohl der EU Bürger stark machen.
Das Friedensnobelpreiskomitee hat in dieser für die EU wegen der immer noch andauernden EURO Krise schwierigen Phase ihrer Existenz erkannt, dass die EU für die Bürger viel mehr bedeutet als nur die Sicherung des EURO. Niemals zuvor in der Geschichte unseres Kontinents leben wir eine so lange Zeit in Frieden und niemals zuvor werden Probleme, zwischen den Mitgliedsländern, nicht mehr auf den Schlachtfeldern Europas sondern an den Verhandlungstischen in Brüssel oder in Straßburg gelöst.
Wir, die Funktionäre, Mitglieder und Mitarbeiter der Europa Union Deutschland und Europäische Bewegung NRW haben daher eine besondere Verantwortung. Wir sind nicht nur eine Europäische Bewegung, eine Art Lobbying für die EU, sondern wir sind da, um die Menschen ideell bei diesem Prozess mitzunehmen. Wir müssen den Menschen die Notwendigkeit aufzeigen, dass außerhalb der EU ein Schreckgespenst namens Nationalismus auf uns wartet. Daher ist Aufklärung und Information der Bürger allen voran in den Schulen zu einem wichtigen Eckpfeiler unserer Aktionen geworden. Wir müssen immer daran denken, dass wir zwischen Nationalismus und EU die Wahl haben. Der Erste brachte uns Jahrhunderte lang Krieg und Vertreibung, die EU brachte uns den Frieden. Eine echte Alternative gibt es hier einmal wirklich nicht.“